Vorsprung durch Tech-Transfer: Die erfolgreiche Transfer-Strategie des Fraunhofer EMB

Das Fraunhofer EMB hat im vergangenen Jahr hohe Rückflüsse über Ausgründungen erzielt und wurde im September 2020 für die beste Akquise ausgezeichnet. Wir sprachen mit Professor Charli Kruse, Leiter des EMB, über die strategischen Hintergründe.

© Fraunhofer EMB
Prof. Charli Kruse, Leiter Fraunhofer EMB

Herr Professor Kruse, Glückwunsch zur erfolgreichen Kundenakquise Ihres Instituts. Erläutern Sie uns bitte die Hintergründe, insbesondere zur Ausgründung.  

Die Bluu GmbH ist eine Ausgründung von Dr. Sebastian Rakers, der viele Jahre lang an unserem Institut eine Arbeitsgruppe geleitet hat. Die Idee zur Ausgründung entstand dabei eher zufällig während der Arbeit an Stammzellen. Wir halten schon seit vielen Jahren Patente auf künstliche Fleischerzeugung und werden als führend bei der IP für künstliche Fischfleischerzeugung gesehen. Inzwischen hat sich dieser Markt entwickelt und Analysten attestieren ihm ein Milliardenpotenzial. Man geht davon aus, dass der weltweite Fleischkonsum in circa 20 Jahren zu einem nicht unwesentlichen Teil mit künstlich erzeugtem Fleisch gedeckt werden wird.

An der Erzeugung von Fleisch arbeiten inzwischen viele Forschungseinrichtungen und Unternehmen, der Markt für Fischfleisch aus dem Bioreaktor ist aber gerade erst im Entstehen und ein idealer Startpunkt für Ausgründungen und neue Unternehmen. Hier besitzen wir in Deutschland einen Forschungsvorsprung und haben alle Möglichkeiten, daraus auch eine wirtschaftliche Spitzenposition zu machen. Entsprechend groß war das Interesse von unseren Partnern in der Lebensmittelindustrie, die aktiv ein Start-up als Bindeglied zwischen Forschung und Anwendung angeregt haben. Bei Ausgründung der Bluu GmbH hatten wir von Anfang an Kooperationen vereinbart, die uns im vergangenen Jahr die entsprechenden Rückflüsse eingebracht haben.

Welche Rolle spielen Ausgründungen in der Akquise-Strategie Ihres Instituts?

Ein Start-up ist für viele Innovationsfelder die beste Möglichkeit, Spitzentechnologie marktnah zu entwickeln. Unsere Ausgründungen schaffen für uns mehrfachen strategischen Mehrwert: Für das EMB sind sie die „Schnellboote“, die mit ihrer Flexibilität, Anpassungsbereitschaft und Marktnähe ideale Inkubatoren für die Entwicklung von Anwendungen und Geschäftsmodellen aus Fraunhofer-Technologie sind. Außerdem können über Ausgründungen weitere Investoren eingebunden werden – ein großer Vorteil, weil wir als Institute das nicht leisten können. Zusätzliches Kapital beschleunigt die Entwicklung in Richtung Markteintritt und macht später die Skalierbarkeit des Geschäftsmodells möglich.

Mittelfristig bauen wir mit Ausgründungen attraktive spätere Partner auf, die wiederum für das Institut lukrative Aufträge erbringen können. Für unsere Partner in der Industrie sind Fraunhofer-Spin-offs gesuchte, flexible Kooperationspartner für viele innovative Entwicklungen. Der Name „Fraunhofer“ und die Anbindung an unsere Forschung steht für Qualität und Verlässlichkeit und reduziert für sie mögliche Risiken, gerade wenn es um grundlegende Innovationen geht, bei denen viel versucht und länger in mehrere Richtungen geforscht und entwickelt werden muss. Ein Startup bündelt also viele Kompetenzen und Interessen und hat Vorteile für alle Beteiligten.

Das Fraunhofer EMB arbeitet bei der Entwicklung von Zukunftstechnologien intensiv mit Partnern aus Forschung und Industrie zusammen. Was bringen diese Netzwerke und Ökosysteme für den Technologie-Transfer?

Wir müssen aufhören, bei Zukunftstechnologien in den Kategorien "intern" und "extern" zu denken. Wirkliche Innovationen entstehen nicht in Silos, sondern brauchen den Diskurs, kritische Reflexionen und viele verschiedene Expertisen und Perspektiven – und das ist gerade für den Technologietransfer entscheidend. Die Partnerschaften zu Universitäten, Fachverbänden, Start-ups und Gremien aus der Industrie sind für uns ein Katalysator für den Technologietransfer zum Nutzen aller Beteiligten. Gerade für Unternehmen bietet die enge Vernetzung die Möglichkeit, Technologien von Morgen kennen zu lernen und Inspiration für mögliche neue Geschäftsmodelle zu sammeln. Für uns reichern sie unser Forschungs- und Technologie-Know-how mit dem Wissen von Anwendern an.

Für unsere Ausgründungen schaffen diese Netzwerke die Möglichkeit, ihr Geschäftsmodell schneller zu skalieren, weil die Gründer leichteren Zugang zu potenziellen Partnern, Kunden und Investoren bekommen, die das EMB mit seiner Strategie bereits kennen und Einblicke in die Entwicklung und das Potenzial solcher Modelle haben. Gerade in Deutschland mit seiner eher vorsichtigen Investoren-Landschaft ist das entscheidend.

Wo binden Sie Fraunhofer Venture mit ein und welche Unterstützung nehmen Sie in Anspruch?

Unsere Ansprechpartner bei Fraunhofer Venture begleiten uns in allen Stadien unserer Transfer-Strategie, den jeweiligen Modus für ein Projekt bestimmen wir flexibel. Wir schätzen die Beratung unseres Berater Tandems Dominik Malter und Sebastian Hohenester insbesondere bei der Identifikation und Analyse von Transferpotenzialen für unsere Technologien und binden sie deshalb so früh wie möglich mit ein.

Auch bei der nächsten Stufe unserer Transfer-Strategie setzen wir auf das begleitende Coaching und die Beratung durch die Investment-Manager und Juristen von Fraunhofer Venture. Unser strategisches Ziel für die Zukunft ist es, den Technologie-Transfer über Ausgründungen weiter zu systematisieren. Wir wollen in den Bereichen, in denen wir in der Forschung führen, nach Möglichkeit auch selbst erfolgreiche Ausgründungen am Markt platzieren. Dafür brauchen wir Experten mit dem betriebswirtschaftlichen und juristischen Know-How an unserer Seite, die mit uns und unseren Forschenden die jeweils besten Transfer-Pfade entwickeln.

Herr Professor Kruse, vielen Dank für dieses Gespräch und die Einblicke in die Transfer-Strategie Ihres Instituts.