Entrepreneure wie du und ich: Die Gründungsgeschichte des Fraunhofer Spacetech-Spin-off ConstellR

Das Fraunhofer Spin-off ConstellR ist eines der vielversprechendsten europäischen Start-ups im Bereich Agtech (Landwirtschaftstechnologie) bzw. Spacetech (Weltraumtechnologie). Das ConstellR-Team hat mit seiner Idee, optimales Wassermanagement für die Landwirtschaft durch exakte Temperaturmessungen via Satelliten zu ermöglichen, europaweit mehrere Wettbewerbe gewonnen. Das junge Unternehmen versammelt bereits kurz nach Gründung die Crème de la crème der deutschen Partner im Weltraumsektor hinter sich. Das Marktpotenzial der ConstellR-Lösung ist immens. Doch die faszinierende Erfolgsgeschichte des Fraunhofer Spin-off begann im wissenschaftlichen Alltag, wie ihn viele Forschende an Fraunhofer-Instituten kennen: Bei der Suche nach Nutzungsmöglichkeiten für bereits entwickelte Technologien. Wir sprachen mit Max Gulde, dem Co-Gründer von ConstellR, über die Karriere vom »typischen Wissenschaftler« zum erfolgreichen Unternehmer.

© ConstellR GmbH
Dr. Max Gulde, CEO und Co-Founder der ConstellR GmbH

Max, ConstellR ist ein Spin-off mit einer vielversprechenden globalen Lösung für die Landwirtschaft der Zukunft. Wie ist die Idee zu eurem Unternehmen entstanden?

Eine Unternehmensgründung war für uns zunächst einmal gar kein Thema. Wir waren begeisterte Wissenschaftler am Fraunhofer EMI (und sind es bis heute noch), forschten im Bereich der planetaren Wissenschaften. Keiner von uns sah sich ursprünglich als Start-up-Gründer. 2017 wurden wir durch Kollegen auf den Copernicus Masters-Wettbewerb der Europäischen Kommission aufmerksam gemacht, der neue Technologien mit großem gesellschaftlichem Impact suchte. Die Bedingung war allerdings, dass es sich um »Spacetech«, also grob übersetzt Weltraumtechnologie handeln musste. Die Idee, mit unserer Technologie etwas für die Lösung globaler Probleme zu bewirken, reizte uns. Wir fanden heraus, dass ausgerechnet für die systematische Messung der Bodentemperatur auf der Erde keine wirklich praktikablen Anwendungen zur Verfügung standen.

Eine Schlüsselkennzahl für die Erderwärmung, die Landwirtschaft und damit die Welternährung war also eine Art blinder Fleck der Forschung und des Managements landwirtschaftlicher Flächen. So entstand die Idee zur ConstellR-Lösung. An eine Ausgründung dachten wir dabei noch nicht und haben die Möglichkeit einer Unternehmensgründung eher pro forma in unseren Wettbewerbsunterlagen erwähnt. Wir wollten die Welt verändern, ohne uns und unsere Lebens- und Arbeitssituation dabei zu verändern – es kam anders und das war unser Glück.

Das klingt ja fast nach Ausgründung wider Willen. Wie seid ihr von passionierten Forschern zu begeisterten Unternehmern geworden?

Wir hatten den Wettbewerb nach unserer Einreichung weitgehend verdrängt, weil uns unser eigenes Vorgehen zu gewagt und die Erfolgschancen zu gering erschienen. Eines Tages klingelte das Telefon, ein Mitarbeiter der Europäischen Weltraumagentur ESA meldete sich und verkündete uns, wir seien unter den drei Finalisten für die vielversprechendsten europäischen Spacetech-Konzepte. Wir wurden eingeladen, unsere Idee vor Vertretern der EU-Kommission zu pitchen. Keiner von uns hatte jemals zuvor eine Idee gepitcht, geschweige denn, ein unternehmerisches Konzept vorgestellt. Es kam also wie es kommen musste: Wir gerieten ins Schlingern, sobald wir nach unseren Kundenzielgruppen oder unserer Time-to-Market gefragt wurden. Trotzdem wurde uns nach unserem Pitch verkündet, dass wir zu einem Accelerator-Programm in Tallinn eingeladen seien. Freuen konnten wir uns erst, als wir gegoogelt hatten, was »Accelerator« in dem Zusammenhang eigentlich bedeutet.

© ConstellR GmbH
Simulation auf Basis von NASA Daten, das den Wasserstress von Feldern zeigt. Blau bedeutet dabei geringer Stress und rot hoher Stress.

Wann wusstet ihr, dass ihr ein Unternehmen ausgründen müsst, um eure Vision zu verwirklichen?   

Wir alle brannten für die Idee und waren felsenfest davon überzeugt, dass wir diese Idee umsetzen mussten. Wir wollten mit unserer Fraunhofer-Technologie zur Lösung eines globalen Problems beitragen. Die Welt des Unternehmertums war für uns aber eher abstrakt und nicht Teil unseres Lebensplans. Wir hatten uns in die Idee verliebt, nicht in das Unternehmen. Wir haben dann fast eineinhalb Jahre versucht, Unternehmenspartner und Fördermöglichkeiten im Rahmen unserer Forschungstätigkeit zu finden. Wir haben viel Begeisterung geerntet, aber kein Investment oder eine substantielle Förderung.

Eher zufällig kamen wir mit einer Mitarbeiterin von Fraunhofer Venture ins Gespräch, die sich gerade in Freiburg aufhielt und uns direkt am Institut besuchte. Uns wurde klar, dass man die Grenzen zwischen Forschung und Ausgründung fließend gestalten kann und erst eine Entscheidung treffen muss, wenn die unternehmerische und persönliche Perspektive geklärt ist. Deshalb haben wir an den F-Days von Fraunhofer Venture teilgenommen (Anm. d. Red.: dem Vorläufer des heutigen AHEAD-Bootcamps). Die F-Days, bzw. heute das AHEAD-Bootcamp, sind die perfekte Möglichkeit für Forschende, die Grundfragen des Geschäftsmodells und auch der persönlichen Planung zu klären, ohne wirklich ins Risiko gehen zu müssen. Man klärt den eigenen Horizont ergebnisoffen und findet für sich die beste Möglichkeit heraus. Schon während des Programms war für uns relativ klar, dass wir ausgründen wollten.

Gründen heißt auch, Risiken einzugehen. Hattet ihr keine Sorge, dass ihr scheitern könntet?

Als Angestellter denkt man natürlich auch an die Sicherheit, die man mit einer Ausgründung aufgibt. Auch wir waren vor dem Bootcamp nicht wirklich risikobereit. Meine Frau war damals schwanger mit unserem zweiten Kind und auf den ersten Blick passt eine komfortable Festanstellung natürlich besser in den Lebensplan. Am Ende war es aber sogar meine Frau, die mich bei der Ausgründung bestärkt hat. Sie meinte, sie hätte mich lange nicht mehr so energetisch erlebt und die Chance, mit so einer spannenden Idee selbst zu gründen, biete sich vermutlich nur einmal im Leben. Außerdem hatten unser Team fantastische Unterstützung durch Fraunhofer Venture, unser Institut und auch durch unsere Führungskräfte.

Heute, drei Jahre nach unserer Idee und ein Jahr nach der Gründung, gibt es die Risiken nach wie vor, aber unser Umgang mit ihnen hat sich radikal verändert. Man sieht mit der Erfahrung immer mehr die Chancen. Unsere Lernkurve seit Gründung ist in einem Start-up so steil und exklusiv und unser Netzwerk innerhalb und außerhalb von Fraunhofer inzwischen so bedeutend, dass ich davon überzeugt bin, dass keiner von uns im Falle eines Scheiterns nicht innerhalb von ein paar Wochen wieder eine hervorragende Anstellung hätte. Im Moment sind das vielleicht die wichtigsten Lehren, die wir aus der Gründung gezogen haben: Man kann nicht ein bisschen gründen, man muss voll überzeugt sein, denn nur so kann man auch andere überzeugen, Kollegen, Investoren oder Kunden. Außerdem entwickelt man sich als Unternehmender so rasant, dass sich aus der Gründung in jedem Fall persönliche Chancen ergeben. Forschungsexpertise und Unternehmergeist ergänzen sich perfekt.

Max, vielen Dank für deine Zeit und die Einblicke in eure Gründungsgeschichte – viel Erfolg eurem Team beim Griff nach den Sternen!

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