Kooperation als Wachstumschance: Forschende und GründerInnen entwickeln gemeinsam die digitale Zukunft der Gebäudevermessung

Lange Zeit schienen sich Start-ups und Spitzenforschung in verschiedenen Welten zu bewegen – die einen in der Welt der Quick-Wins mit Innovationen in eCommerce-nahen Bereichen, die anderen in der Welt der Labore und der komplexen Technologieentwicklung. Doch gerade die Kombination aus Start-up-Mentalität und Technologietiefe könnte ungeahnte Potenziale für alle Beteiligten erschließen, wie das CoLab-Projekt ARGOS zeigt. Wir sprachen mit Robert Schröder, Wissenschaftler am Fraunhofer IPK, der mit seinen KollegInnen und dem Team des Start-ups pointreef Bestandsdaten von Gebäuden digitalisiert.

© Robert Schröder
Robert Schröder, Wissenschaftler am Fraunhofer IPK

Robert, du forscht am Fraunhofer IPK zu den Möglichkeiten digitaler Zwillinge im Maschinenbau. Wie kommt man von dort zur digitalen Vermessung von Gebäuden?  

Das Grundprinzip des digitalen Zwillings ist auf vielfältige Branchen und Technologien anwendbar.  Die Übertragung unserer Expertise im Team Modellbasiertes Entwickeln (MBE) des Fraunhofer IPK in den Bausektor ist zwar nicht gerade alltäglich - sie zeigt aber erneut, dass 3D-Scan-Technlogie und intelligente Software für Reverse Engineering nicht nur im klassischen Maschinenbau, sondern auch in anderen Bereichen benötigt werden und sinnvoll eingesetzt werden können. Wir konnten unsere Technologie mit dem Datensatz unseres Partners pointreef, einem dem Marktführer auf dem Gebiet der Digitalisierung von Bestandsgebäuden, testen und zeigen, dass unser Know-how eine Technologielücke in der Branche schließen kann. Als Partner im Projekt ARGOS ergänzen wir uns perfekt.

Wie ist die Idee entstanden, mit einem Start-up zu kooperieren?

Wir sind mit unserem Team am Fraunhofer IPK immer auf der Suche nach potenziellen Partnern, mit denen wir die Entwicklung unseres Software-Prototyps »Scangineering« gemeinsam vorantreiben können. Mein Kollege Stephan Mönchinger stieß durch Zufall auf einen Podcast von pointreef. Ein Kerngeschäft von pointreef ist es, Bestandsgebäude zu scannen und ein virtuelles Modell nach zu modellieren, auf dessen Basis ihre KundInnen beispielsweise Umbau- oder Sanierungsmaßnahmen durchführen können.  Die Baubranche stand bisher nicht wirklich im Fokus für die Anwendung unserer Technologie. Uns wurde aber schnell klar, dass »Scangineering« die Vision von pointreef schnell Realität werden lassen könnte: Für jedes Gebäude in jedem Zustand einen digitalen Zwilling bereitzustellen, der Betrieb, Verbesserung und Weiterentwicklung ermöglicht.

© Stephan Mönchinger
Stephan Mönchinger, Stellvertretende Abteilungsleitung Modellbasiertes Entwickeln

Wie kam das erste Treffen zustande?

Mein Kollege Stephan Mönchinger hat das pointreef-Team kontaktiert und erste Treffen zum Ideenaustausch arrangiert. Wir waren schnell auf einer gemeinsamen Wellenlänge und hatten ähnliche Vorstellungen, wie man sich gegenseitig weiterbringen könnte. pointreef kennt den Markt sehr genau und hat ein wertvolles Kontaktnetzwerk zu den wichtigen AkteurInnen aufgebaut. Wir als Fraunhofer-Forschende können das Know-how einbringen, um die Technologie-Lücke zu schließen, die bisher eine effiziente und kostengünstige digitale Erfassung von Gebäuden verhindert hat. Unser Team arbeitet sehr agil und eigenverantwortlich und das Fraunhofer IPK ist offen für neue Ideen und Kooperationen. Die menschliche und technologische Basis war also schnell gegeben. Wir hatten allerdings instinktiv das Gefühl, dass die Zusammenarbeit nicht in einem sonst üblichen Industrieprojekt umgesetzt wird.

Deshalb habt ihr das CoLab von Fraunhofer Venture eingeschaltet?

Genau. Das Ziel hieß von da an Fraunhofer Spin-off und wir brauchten Beratung und vor allem Expertise und bewährte Instrumente, um die Partnerschaft zwischen uns und pointreef entwickeln und umsetzen zu können. Eine Technologiepartnerschaft kann schnell sehr komplex werden und die Ressourcen sowie Köpfe binden, die man eigentlich für die schnelle Umsetzung bräuchte. Das mussten wir verhindern, um das Potenzial unserer Kooperation erschließen zu können. Deshalb hat Stephan das CoLab-Team kontaktiert – und dann ging es sehr schnell: Anfang Februar 2021 haben wir uns zum ersten Mal mit CoLab Coach Chinyere Wirthmüller getroffen und bereits sechs Wochen später sind wir zusammen mit dem Team von pointreef als Partnerprojekt ARGOS in das Fraunhofer AHEAD-Programm aufgenommen worden.

Wie arbeitet ihr als Forschende heute mit eurem Start-up-Partner zusammen?

Unser gemeinsames Ziel ist es, bis Ende 2021 ein funktionsfähiges MVP (»Minimum Viable Product«) zu entwickeln und langfristig die Strukturen für einen erfolgreichen Launch zu schaffen. Auf technischer Ebene arbeiten wir mit pointreef als virtuelles Team täglich zusammen, für die Strukturierung nutzen wir die Beratung, Tools und Check-ins des AHEAD-Programms. Wir haben bereits auf dem AHEAD-Bootcamp wahnsinnig viel gelernt. Die regelmäßigen Coachings und Benchmarks nach einem dreiwöchigen Sprint schaffen für uns eine Struktur, die uns sehr effizient an vielen Baustellen zugleich arbeiten lässt, ohne dass wir den Fokus verlieren. Wir haben den Freiraum, uns selbst zu entwickeln und gleichzeitig Experten an unserer Seite, die wirklich wissen, was sie tun – und vor allem, wie sie uns unterstützen können, ohne uns Grenzen zu setzen.

Welchen Vorteil bieten Partnerschaften mit Start-ups deiner Meinung nach gegenüber anderen Strukturen, zum Beispiel in großen Organisationen oder Unternehmen?

Der Start-up Modus war für uns ein entscheidender Entwicklungs- und Geschwindigkeitsvorteil. Für Start-ups ist das Feedback von KundInnen und AnwenderInnen der wichtigste Parameter für die Entwicklung der eigenen Leistungen. Alles wird auf schnelle Tests und Lernmomente durch Feedback ausgerichtet. Wir arbeiten ergebnisoffen und passen unser Produkt kontinuierlich an. So schnell, flexibel und kundenorientiert könnte man in einer großen Organisation kaum arbeiten. Den Unterschied macht aber nicht die Start-up-Kultur alleine, sondern die Kombination mit den Ressourcen und der Leistungsfähigkeit der Forschung. In einer guten Partnerschaft kann man die Geschwindigkeit und Marktnähe von Start-ups mit der Exzellenz und Nachhaltigkeit von Spitzenforschung verbinden.

Außerdem ist die Partnerschaft für Start-ups und für uns Forschende eine immense Horizonterweiterung: Wir müssen gemeinsam einen kompletten Zyklus von der Idee über die technische Umsetzung bis hin zu Markt, Anwendung und Finanzierung zu Ende denken – das ist für alle eine Herausforderung – aber genau das macht auch die außergewöhnlichen Chancen dieser partnerschaftlichen Entwicklungen aus. Gerade die unterschiedlichen Kompetenzen in einem Team aus Forschenden und Gründenden können die Entwicklung wirklich neuer Ansätze beflügeln.

Auch für unser Institut erweitert sich der Horizont der eigenen Forschung, weil wir durch eine solche Partnerschaft die Grenzen für die Forschung immer weiter Richtung Anwendung und Marktexpertise verschieben und unsere Themen weiterführen können.

 

Robert, vielen Dank für deine Zeit und die Einblicke die Möglichkeiten von Kooperationen zwischen Start-ups und Forschung – viel Glück beim gemeinsamen Launch.

 

Möchtest du noch mehr über das Fraunhofer Venture CoLab erfahren? Oder über die Partnerschaft? Dann nehme am 10. November 2021 am Deep Dark Coffee meets Deep Tech Ventures teil.

 

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