Veränderung als Wachstumsmotor: Wie das Fraunhofer Spin-off 4am Robotics mit einer Neuausrichtung zum Marktführer wurde

4am Robotics, eine Ausgründung des Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA), hat seit seiner Gründung 2016 gleich mehrere Erfolgsgeschichten geschrieben: Das Team um Gründer und Geschäftsführer Dr. Ulrich Reiser (inzwischen Chief Digital Officer beim Mehrheitseigner SCIO Automation GmbH) startete als Pionier für smarte, empathische Roboter als »Service-Kräfte« in Kaufhäusern. Den großen, kommerziellen Durchbruch schaffte die Technologie allerdings in einem anderen Geschäftsfeld: Unter dem Namen 4am Robotics bietet das Unternehmen heute vollautomatisierte, intelligente und hochflexible Lösungen für die Intralogistik an und avancierte zu einem der schnell wachsenden Player in diesem Segment. Wir sprachen mit Ulrich Reiser über den »Wandel zum Durchbruch«.

© 4am GmbH
Dr. Ulrich Reiser mit seinen beiden Co-Founder

Herr Reiser, Ihr Unternehmen galt bei der Gründung als eines der erfolgversprechendsten Unternehmen im Bereich Service-Robotik. Heute gehört 4am in einem völlig anderen Segment zu den Technologieführern. Wie kam es dazu?

Wir haben als eines der ersten Unternehmen einen Service-Roboter auf den Markt gebracht, der von Kunden auch tatsächlich als Berater und Service-Kraft angenommen wurde. Wir konnten große Unternehmen wie beispielweise Saturn oder Edeka überzeugen, unseren Care-O-bot 4 (»Paul«) in ihren Märkten einzusetzen und den Beweis erbringen, dass Roboter und Künstliche Intelligenz von Konsumenten als emphatisch und hilfreich wahrgenommen werden können.

 Unser Care-O-bot 4 schaffte es sogar auf die Titelseite der VDI-Nachrichten und wurde zum Star einer Sendung des Wissenschaftsmagazins Galileo. Trotzdem haben wir uns entschlossen, den Fokus für die Anwendung auf eine eher industrienahe Anwendung zu legen. Weitgehend autonom agierende Roboter können in der Intra-Logistik knappe menschliche Arbeitskräfte entlasten und bei vielen einfachen Tätigkeiten fehlende Fachkraft sogar ersetzen. Dieses Segment versprach deutlich mehr Wachstum. 

Ein Pivot als Wachstumsmotor? Dafür haben Sie Ihr Geschäftskonzept radikal verändern müssen. Ist das nicht sehr aufwändig?

Als Start-up müssen wir schnell lernen und uns gegebenenfalls auch sehr schnell anpassen, wenn es unternehmerisch geboten ist. Das klingt herausfordernd, ist aber eigentlich eine besondere Stärke von agilen jungen Unternehmen. Für uns als Start-up gehört Veränderung zum Kerngeschäft, weil wir prototypisch arbeiten und uns immer an neue Erkenntnisse anpassen müssen. Dieses explorative Vorgehen ist übrigens auch für den erfolgreichen Technologietransfer aus den Instituten wichtig, weil auf diese Weise schnell Marktpotenziale identifiziert und validiert werden können. Ich sehe unsere Neuausrichtung deshalb eher als logische Konsequenz unserer kontinuierlichen Arbeit. Wir konnten mit unseren Service-Robotern beweisen, was KI und Robotik im Zusammenspiel mit menschlichen Fachkräften leisten können und vor allem haben wir im Einzelhandel den proof-of-concept für unsere Technologie erbracht. Gleichzeitig mussten wir lernen, dass die kundenseitigen Investitionen im Segment der Service-Robotik noch vergleichsweise gering sind.

Für Tech-Start-ups muss die Nische für den Markteintritt möglichst schnelles Wachstum ermöglichen, um die technologische Weiterentwicklung zu finanzieren und unseren Technologievorsprung abzusichern. Der Bereich Intralogistik bietet uns genau das: Anwendung unserer bestehenden Technologie, immensen geschäftlichen Mehrwert für unsere Kunden und gerade im global ausgerichteten deutschen Markt ein spannendes Skalierungspotenzial.

Worin bestehen diese Vorteile für Ihre Kunden genau und was können Sie besser als andere?

Unsere Roboter ermöglichen Kunden eine neue Dimension der Automatisierung ihrer Intralogistik, beispielsweise in der Produktion oder Lagerhäusern, und damit auch eine neue Wirtschaftlichkeit. Mit unseren Service-Robotern haben wir uns in einem sehr dynamischen und komplexen Umfeld bewegt und unglaublich viele Daten über Prozesse und Mensch-Maschine-Interaktionen auswerten können. Dieser Erfahrungsschatz sorgt heute dafür, dass unsere Anwendungen im Unternehmen maximal flexibel angewendet werden können. Unsere Kunden können viele verschiedene Aufgaben mit einer Plattform bedienen und sparen bei jeder einzelnen Zeit und Aufwand – und damit Kosten. Außerdem macht sich der Fachkräftemangel auch in der Logistik immer stärker bemerkbar. Mit unseren Lösungen lässt sich die knapper werdende menschliche Arbeitskraft viel gezielter einsetzen und von repetitiven Tätigkeiten entlasten. Früher ging es manchen Unternehmen darum, Kosten zu senken, indem menschliche Arbeitskraft ersetzt wird – in Zukunft wird es darum gehen, den Betrieb mit den verfügbaren Arbeitskräften aufrecht zu erhalten – und das ermöglichen wir.

Wie haben Sie erkannt, dass sich Ihr Unternehmen ein Stück weit neu erfinden muss?

Zunächst einmal: das ständige Reflektieren und Hinterfragen gehört zum Job-Profil von Gründern – ähnlich wie in der Forschung. Die initiale Idee entstand allerdings in einem Workshop mit unserem Seed-Investor HTGF und weiteren Workshops mit Fraunhofer Venture. Die Kollegen haben das Thema Product Market Fit noch einmal mit uns durchleuchtet und auf alternative Marktnischen hingewiesen. Das Ergebnis dieser Workshops war, dass wir im bestehenden Segment unsere Marketing-Ziele übererfüllt hatten, aber die Monetarisierung nicht in gleichem Maße mitgewachsen ist. Wir haben dann einige Szenarien durchgespielt und den Bereich Intralogistik als Segment identifiziert, in dem wir die Stärken unserer Technologie besser aussielen konnten und mit Fraunhofer Venture zusammen auch die Ansprechpartner bei der Fraunhofer-Gesellschaft überzeugt.

Mojin Robotics, der Vorläufer des heutigen Unternehmens 4am Robotics, wurde 2017 mit dem Fraunhofer-Gründerpreisausgezeichnet. Wie hat sich das ausgewirkt? Zahlt sich das für Start-ups aus?

Der Gründerpreis war für uns ein idealer Ausgangspunkt. Er steht für technologische Exzellenz der »Marke Fraunhofer« und das ist natürlich ein Reputationsgewinn gerade in der frühen Phase. Mit solchen Auszeichnungen sind die weiteren Schritte Richtung Praxis und Anwendung natürlich leichter. Offen gestanden: Wir würden gerne noch viel mehr gemeinsame Projekte mit Fraunhofer-Instituten umsetzen und ich bin mir sicher, dass in solchen kooperativen Modellen in Zukunft immenses Innovations- und Renditepotenzial erschlossen werden könnte. Noch scheinen dafür allerdings Routinen und standardisierte Prozesse zu fehlen. Das nimmt uns als jungem Unternehmen natürlich Möglichkeiten zur Kooperation, weil wir auf Umsetzung quasi in »Tesla-Geschwindigkeit« angewiesen sind. 

Auch das soll in Zukunft möglich sein - wir arbeiten daran. Herr Reiser, Ihnen vielen Dank für Ihre Zeit und die Inspiration und weiterhin viel Erfolg für Sie uns das 4am-Team!

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