Fraunhofer-Spin-off Plain Medical: GameChanger für Arbeitsprozesse in der Radiologie

Im Fachbereich Radiologie droht Deutschland ein gefährlicher personeller Engpass: Therapien und Untersuchungen wachsen mit der alternden Bevölkerung exponentiell, aber die Zahl der ausgebildeten Fachärzte auf diesem Gebiet schrumpft. Fast jeder Fünfte wird in den kommenden fünf Jahren in Rente gehen. Das Fraunhofer-Spin-off Plain Medical B.V. hat jetzt eine Lösung entwickelt, die auf Basis von KI Routinen in der medizinischen Bildgebung übernimmt, und der Radiologie der Zukunft entscheidende Zeitvorteile verschafft.

© Plain Medical B.V.

Radiologen stehen europaweit unter enormem Druck. Die Zahl der CT-Untersuchungen hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten fast verdreifacht – von 37 Millionen im Jahr 2000 auf über 100 Millionen im Jahr 2025. Zwei Drittel davon sind Thorax- und Abdomen-Scans, die in der Onkologie für regelmäßige Kontrolluntersuchungen unverzichtbar sind. Gleichzeitig explodiert das Arbeitsvolumen. Radiologen verbringen bis zu 70 Prozent ihrer Zeit mit manueller, unstrukturierter Berichterstellung. Jede Tumormessung, jeder Vergleich mit früheren Aufnahmen erfolgt heute meist noch von Hand. Das Ergebnis: Stetig wachsende Überstundenkonten, steigender Druck, wachsende Wartezeiten bei zeitkritischen Therapien und Untersuchungen. Die Fälle von Burn-out unter den spezialisierten Fachärzten sind heute schon alarmierend hoch.

Die Klinik als Gründungsinkubator

Der Impuls für die Ausgründung von Plain Medial entstand im Rahmen der langjährigen Forschungszusammenarbeit zwischen dem Fraunhofer MEVIS und der Radboud Universität Nimwegen in den Niederlanden. Erste prototypische Tests der KI-gestützten Bildgebung auf Basis von Fraunhofer-Technologie zeigten, dass sich die zeitaufwändigen Tumormessungen per Bildgebung und Analyse in Kliniken weitgehend automatisieren lassen. Das Gründungsteam von Plain Medical um Prof. Bram van Ginneken, Pionier in KI-gestützter Radiologie, Seriengründer und späterer CEO, Kiran Venkadesh, Experte für die technische Entwicklung und heute CTO, und Alexandra Jürgens, Co-Gründerin, COO und Leiterin Business Development am Fraunhofer MEVIS, stellten die Anwendung mit einem Demonstrator auf Fachmessen vor. Das Feedback aus Fachkreisen und Partnern aus der Industrie war eindeutig: 

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V. l.: Prof. Dr. Horst Hahn (Institutsleiter Fraunhofer MEVIS), Prof. Bram van Ginneken (CEO Plain Medical B.V.), Kiran Venkadesh (CTO Plain Medical B.V.) und Alexandra Jürgens (COO Plain Medical B.V.).

Die weitgehende Automatisierung von Routinetätigkeiten würde nicht nur Fachärzte und radiologische Abteilungen entlasten, sondern ein systemisches Ressourcenproblem in der medizinischen Versorgung lösen. Bei einer internen Präsentation der Ergebnisse fiel der Satz, der die Richtung für eine Ausgründung vorgeben sollte. Prof. Matthias Prokop, Mitglied des Kuratoriums von Fraunhofer MEVIS und selbst renommierter Radiologe, urteilte über das praktische Potenzial der Technologie: »Wenn wir es schaffen würden, dieses Verfahren in die radiologische Praxis zu bringen, wäre das der Holy Grail der Radiologie.«

Das Gründungsteam von Plain Medical kombiniert hierfür medizinische Expertise mit technologischem Know-how und Anwendungswissen. Neben van Ginneken, Venkadesh und Jürgens arbeiten Matthieu Rutten (CMO), Radiologe, Experte für klinische Relevanz und Workflow-Integration und Rajko Topolnjak (Qualitäts- und Zulassungsmanagement) an der Realisierung der KI-unterstützten Radiologie. Die gesamte Ausgründung wurde stark von Prof. Horst Hahn – Institutsleiter MEVIS unterstützt.

Aufbruch in den Milliardenmarkt der KI-gestützten Radiologie

Plain Report, die GenAI-Plattform von Plain Medical, segmentiert über 150 anatomische Strukturen, gleicht frühere Scans ab und quantifiziert Veränderungen. Die Ergebnisse fließen automatisch in vollständig editierbare Befunde ein.

Das Besondere: Während andere KI-Tools meist fragmentierte Punktlösungen bieten – etwa die Erkennung von Lungenknoten – setzt Plain Medical auf einen holistischen Ansatz, der nicht von der Software ausgeht, sondern von der praktischen Anwendung: Mit Plain Report müssen Radiologen nicht länger zwischen verschiedenen Tools und Oberflächen für unterschiedliche Behandlungen hin und her wechseln, sondern arbeiten innerhalb einer technischen Umgebung, die wie ein Cockpit der Bildgebung alle Behandlungsschritte integriert und ihnen deutlich mehr Übersicht, Zeit für Patienten und für komplexere Fälle verschafft. Behandlungskosten sinken durch die Verschlankung, Beschleunigung und Automatisierung ebenfalls signifikant. Onkologische CT-Scans von Thorax und Abdomen sind für Plain Medical der Einstieg, mittelfristig sollen MRT und weitere Anwendungsbereiche folgen.
Drei niederländische Kliniken sind bereits als Pilotpartner eingebunden. Sie liefern hochwertige Bilddaten zum Training der KI und helfen die Lösung klinisch zu validieren. Ziel ist es in 2026 eine zertifizierte, skalierbare Produktversion bereitzustellen.

Allein der Markt für Thorax- und Abdomen-CT-Scans in Europa wächst bis 2030 von 4 Milliarden auf 5,38 Milliarden Euro. Der globale Markt für radiologische Dienstleistungen steigt bis 2030 auf über 30 Milliarden US-Dollar. Noch dynamischer wächst KI in der medizinischen Bildgebung: von 1,39 Milliarden USD im Jahr 2023 auf 4,54 Milliarden USD bis 2029.    

Fraunhofer-Starthilfe für Start-ups

Plain Medical adressiert ein klar umrissenes Problem mit einer skalierbaren Lösung: Von CT zu MRT, von Thorax und Abdomen zu Kopf und Extremitäten. »Wir wollen das Unternehmen für Medical AI in der Bildgebung werden«, formuliert Alexandra Jürgens die Vision des Teams. Brückenbauer und Wegbereiter für Plain Medical war laut Jürgens das Team von Fraunhofer Venture. Das Berater-Tandem aus Legal Counsel und Investment Manager begleitete die Ausgründung von Anfang an – bei Förderanträgen, Compliance-Checks, Unterstützung bei der Erstellung von Pitch Decks und rechtlicher Expertise.

»Insbesondere die Beteiligung der Fraunhofer-Gesellschaft hätten wir ohne diese Unterstützung so nicht stemmen können«, sagt Jürgens. »Wer aus der Forschung ausgründen will, braucht drei Dinge: einen klaren klinischen oder industriellen Need, ein starkes Team und Partner, die die Brücke vom Labor in den Markt bauen. Für uns war das Fraunhofer Venture für die entscheidenden Fragen der Ausgründung.« Die Marke Fraunhofer wirkt laut Jürgens bei potenziellen Kunden und Investoren als Qualitätssiegel für exzellente Forschung und Technologie, die Beteiligung von Fraunhofer als Seed-Investor sogar als zusätzliche Sicherheit und Asset in Gesprächen mit potenziellen Investoren.

Plain Medical steht noch am Anfang seiner unternehmerischen Entwicklung, doch die Richtung ist klar: Von der Automatisierung onkologischer Befundung in CT-Scans hin zu einer Plattform, die mittelfristig alle radiologischen Modalitäten abdeckt.

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