From push to pull: Das Fraunhofer IKTS integriert Transferperspektiven in die Forschung

Das Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme IKTS arbeitet daran, Forschung und Verwertung in einem integrierten Ansatz noch stärker zu verzahnen. Wir sprachen mit Dr. Christian Wunderlich, dem stellvertretenden Institutsleiter des IKTS, zur Institutsstrategie und den Möglichkeiten auf strategische Fokussierung und Intencivierung in der Verwertung von Forschungsergebnissen.

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Dr. Christian Wunderlich ist stellvertretender Institutsleiter am Fraunhofer IKTS

Herr Dr. Wunderlich, Ihr Institut verfolgt eine ebenso ehrgeizige wie erfolgreiche Transferstrategie. Bitte skizzieren Sie uns Ihre Herangehensweise.

Unser Institut hat ein klares Credo für die Verwertbarkeit unserer Forschungsergebnisse: Wir wollen unseren Partnern und Auftraggebern auf Industrieseite die bestmögliche Forschung und Technologie für den zeitnahen und reibungslosen Einsatz in der Praxis bieten. Dafür haben wir uns zum Ziel gesetzt, mindestens alle drei Jahre eine Ausgründung an den Markt zu bringen und entwickeln Ansätze und Methoden, um unternehmerisches Denken in unseren Forschungsalltag zu integrieren. Wir versuchen beispielsweise, bereits bei der Projektkonzeption Technologietransfer und Ausgründungen mitzudenken und perspektivisch mitzuentwickeln. Das Fraunhofer IKTS hat Anlagen und Ressourcen, die jeder Partner nutzen kann, um schnell Produkte im Markt zu testen. Als Wissenschaftler haben wir einen guten Blick auf den Reifegrad der Technologie, aber den Fokus auf Marktchancen sollten wir früher schärfen und mitdenken. Verwertung sollte bereits in der Planung unserer Forschungsprojekte beginnen, Bedarfe möglicher Anwender können wir mitdenken und Verwertungschancen auf diese Weise erhöhen. Diese Logik »from push to pull« nutzen wir heute schon erfolgreich bei einigen unserer Kerntechnologien, beispielsweise bei unserer jüngsten Ausgründung Nicoustic, mit der wir Lösungen für konkrete Herausforderungen eines unserer Industriepartner entwickeln.

Wie verbinden Sie am Institut diese starke Transferausrichtung mit dem Anspruch der Gemeinnützigkeit und seinen Implikationen?

Das ist für uns eine logische und sogar notwendige Verbindung. Viele Technologien aus der Forschung verschaffen der Gesellschaft neue Handlungsoptionen zur Lösung gesellschaftlicher Probleme, beispielsweise beim Umgang mit knappen Rohstoffen in der Circular Economy oder Innovationen für den Klimaschutz. Gute Transferpolitik ist der Hebel zur Problemlösung im Sinne der Gesellschaft. Wir dürfen da keine Zeit verlieren. Wir sorgen dafür, dass öffentliche Fördermittel über Rückflüsse durch Auftraggeber auf Industrieseite oder Ausgründungen nicht nur zur Finanzierung eingesetzt werden, sondern schnell Rendite für zukünftige Forschungsfinanzierung erwirtschaften. Ich selbst komme ursprünglich von der Unternehmens- bzw. Gründerseite. Gerade dieser unternehmerische Blick auf das großartige Technologie- und Gründungspotenzial von Fraunhofer war ein Motiv für mich persönlich, in die Forschung zu Fraunhofer zu wechseln.

Sie waren vor Ihrem Einstieg beim Fraunhofer IKTS in leitenden Positionen für internationale Technologie-Unternehmen tätig und haben selbst ein Tech-Start-up gegründet. Wie kam es zum Wechsel in die Forschung?  

Tatsächlich habe ich das Fraunhofer IKTS im Jahr 2003 von Industrieseite kennen gelernt. Die Forschungspartnerschaft mit Fraunhofer-Instituten lieferte uns die technologischen Kernelemente für neue Produkte und Geschäftsmodelle. Allerdings waren die organisatorischen Strukturen für einen erfolgreichen Technologietransfer damals noch wenig ausgereift. Wir haben deshalb aus der Not eine Tugend gemacht und mit der staxera GmbH ein Gemeinschaftsunternehmen zwischen Forschung und Industriepartnern als Spin-in am IKTS gegründet, das uns optimale Möglichkeiten der Zusammenarbeit bot und einen iterativen und unbürokratischen Austausch zwischen Wissenschaft und industriellen Entwicklern ermöglichte. Als dieses Unternehmen 2011 aufgekauft wurde, habe ich die Chance ergriffen, an der Nahtstelle zwischen Forschung und Industrie weiterzuarbeiten und wurde Leiter der neu gegründeten Abteilung für Industrialisierung und Technologietransfer.

Wie kann Forschung noch anwendungsnäher werden? Wie inspiriert Ihr Institut Forschende zu unternehmerischem Denken?   

Wir sollten Forschung und Unternehmertum nicht als verschiedene Welten denken. Es gibt viele Parallelen und Schnittmengen. Die meisten Ingenieure haben ein implizites Verwertungsdenken auch in der Forschung und nutzen wissenschaftliche Methoden, um Anwendungsmöglichkeiten zu identifizieren. Der entscheidende Schritt ist der von der Anwendbarkeit hin zur unternehmerischen Verwertung, von der Lösungsmöglichkeit hin zur Innovation bei Kunden. Stark vereinfacht arbeiten wir mit drei Prinzipien, die bei Forschenden das »unternehmerische Mind-Set« fordern sollen: Der wichtigste Aspekt ist für uns eine unterstützende Organisationskultur: Jeder Mitarbeitende kann mich jeder Zeit mit neuen unternehmerischen Ideen oder Verwertungsmöglichkeiten ansprechen und sich sicher sein, dass er oder sie unsere volle Unterstützung bei neuen Wegen oder Denkansätzen hat. Auch unsere Führungskräfte werden in ihrer Rolle zu aktiven Förderern für neue Transferansätze. Wir wissen auch, dass mutige und experimentelle Ansätze nach den ersten Tests verändert oder wieder verworfen werden müssen. Diesen experimentellen Freiraum können und sollen unsere Forschenden nutzen. Wir möchten unseren Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zweitens eine systematische methodische Unterstützung bei der Identifizierung von Verwertungsansätzen am Markt bieten: Bei vielversprechenden Anwendungsszenarien arbeiten wir am Institut mit Design Thinking-Methoden, um erste Markt- und Kundenperspektiven zu identifizieren und Potenziale frühzeitig bewerten zu können. Wenn diese Vorarbeiten interessante Perspektiven nahelegen, binden wir drittens die Experten von Fraunhofer Venture ein und bringen unsere Teams und Ideen in das AHEAD-Programm ein.

Worin liegt der spezielle Mehrwert von Ausgründungen für Ihr Institut?

Ausgründungen haben für uns als Transferpfad einige spezielle Vorteile: Die etablierte, persönliche Vertrauensebene und gemeinsame fachliche Herkunft schaffen eine Nähe und unkomplizierte Herangehensweise, die viele Hürden in der Zusammenarbeit gar nicht erst entstehen lässt und unbürokratische Lösungen ermöglicht. Hinzu kommt, dass gerade für Zukunftstechnologien geeignete Partner nicht immer leicht zu finden sind. Mit Spin-offs gründen wir unsere eigenen KMU und erweitern unser Ökosystem. Unsere jüngste Ausgründung Nicoustic ist ein Paradebeispiel dafür. Wir haben mit Equinor, einem Partnerunternehmen auf Industrieseite, eine hoch interessante Marktnische identifiziert und mit Nicoustic ein Gemeinschaftsunternehmen als effektive Innovationsplattform für die Weiterentwicklung bis zum Markteintritt gegründet. Diese Ausgründung fungiert als dynamische Schnittstelle zwischen Forschung und Anwendung – eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten, auch für die Fraunhofer-Gesellschaft als Mitinvestor.

Wo binden Sie Fraunhofer Venture oder das AHEAD-Programm mit ein und wie arbeiten Sie zusammen?

Die Berater-Tandems von Fraunhofer Venture unterstützen mit Rat und Expertise iterativ in jeder Phase einer Ausgründung. Sie sind für uns häufig Problemlöser und Wegbereiter in fachlichen Fragen, die für ein Institut allein schwer zu klären wären, beispielsweise bei Finanzierung, Fördermitteln oder juristischen Prüfungen. Ihre langjährige Erfahrung macht Ausgründungen für alle Beteiligten einfacher, schneller und schafft verlässliche Lösungen. Das AHEAD-Programm ist für viele unserer Forschenden ein Augenöffner für Verwertungsfragen. Auf den AHEAD-Bootcamps lernen sie unternehmerisches Denken in spielerischer explorativer Art und Weise kennen und entdecken die vielfältigen Verwertungspotenziale ihrer Forschung. Als Institut profitieren wir davon, unabhängig ob sie anschließend tatsächlich gründen, auslizensieren oder neue Verwertungsperspektiven am Institut einbringen.

Herr Dr. Wunderlich, vielen Dank für die inspirierenden Einblicke in die Ausgründungsstrategie des IKTS – wir bleiben gespannt!